Israel / Artikel aus dem FAZE Magazin

Das schlimmste an dieser Reise ist der Montag danach. Ich bin immer noch im Disco Modus und könnte auch fast ohne Schlaf schon wieder Musik machen. Vielleicht auch gerade wegen dem Schlafmangel. An sich ist es der beste Zustand, der Kopf ist frei aber immer noch voll von Klängen und Bildern. Mit der Unfähigkeit im klassischen Sinne logisch zu denken kommt das eigene Musikvideo. Wie ein weicher Flokati bringt es mich durch den Berliner Sommerregen.

Als wir in Israel ankamen war die ganze Welt noch etwas nüchterner als 5 Tage später beim Abflug. Ich hatte keine Ahnung was mich erwarte, denn ich hatte gehört in Israel gäbe es eine gute Partyszene aber was heisst das schon? Und das Wort Trance war viel zu oft im Zusammenhang mit Israel gefallen, insofern war es nicht auf meiner Top Wunschliste. Wie so oft kommt es aber anders als DJ denkt und als wir unseren Israelischen Freund und Reiseleiter das erste mal in Berlin trafen erzählte er so viele nette Dinge von seinem Land, dass wir neugierig wurden. Das Partyteam war gerade aus Portugal zurück und so beschloss man ein zweites mal als DJ, Club und Entourage auf Tour zu gehen. Orte, von denen man so gar nichts weiß sind vielleicht auf diese Art leichter zu bereisen, denn selbst wenn alles doof ist hat man immer noch die Anderen und mit dieser Gang könnte ich wahrscheinlich sogar auf dem Bahnhofsklo von Timbuktu noch eine gute Fete schmeissen. Gleichzeitig sind sie auch in der Lage tagsüber einen Satz mit Komma zu verstehen, auch eine gute Vorraussetzung um keine Ballerman Tour hinzulegen.

Die Einreise klappt unkomplizierer als erwartet. Wir werden kurz gefragt was wir in Israel wollen, antworten höflich, feiern und Surfen sei unsere Absicht und drin sind wir. Da ist manche Berliner Clubtür nerviger, selbst für Locals. Raus aus dem Terminal, rein ins Taxi und keine 20 Minuten später stehen wir direkt vor der Tür unseres Appartments und unsere Entourage aus Hamburg drückt uns direkt ein Frühstücksbier in die Hand. Bela und Thies, die vorgreisten Hamburger, sehen etwas bedröppelt aus, weil es in Ihrer Zeitrechnung gerade 7 Uhr morgens ist und sie erst um 4 schlafen gegangen waren. Wir haben den immer-noch-wach bzw. durchgefeiert-und-gar-nicht.geschlafen-Vorteil. Ich habe es im Flugzeug einfach nicht hinbekommen und für mich ist es ein lustiger Zustand, zumal die Sonne schon reichlich hell ist. Wir beschliessen dem morgendlichen Strand einen Besuch abzustatten. Das Klima haut mich um. Es ist jetzt schon ca. 30 Grad mit der Luftfeuchtigkeit eines Waschlappens. Wir kaufen uns ein weiteres, kühles, Bier und setzen uns an den Stadtstrand. Komischer weise sind wir wirklich nicht die Einzigen, die um diese Uhrzeit da sind. Ausser uns sind da noch: Jogger, übrig gebliebene, knutschende Pärchen, alles was ein Stadtstrand so zu bieten hat. Und wir sind mittendrin beim planschen.

Auf dem Nachhauseweg gehe ich in einen Supermarkt um etwas Milch fürs Frühstück zu kaufen, nun erfahre ich wie sich Analphabetismus anfühlen muss. Nicht nur dass ich die Sprache gar nicht verstehe, ich kann sie noch nicht einmal entziffern. Die Zeichen sehen irgendwie cool aus, erinnern mich an geometrische Zeichen und ja, ich habe sie auch schon vorher gesehen. Berlin hat durchaus einiges in dieser Richtung. Aber wer denkt an das jüdische Museum wenn er vor dem Milchregal steht? Ich bin mir nicht sicher ob es Joghurt oder Milch ist, wie eine Figur aus einem Slapstick Film nehme ich die Packung und schüttle sie um der Sache näher zu kommen. Drumherum ist alles gemischt im Kühlregal, Joghurt, Sahne, saure Sahne, Trinkjoghurt und sonst noch was. Mich packt der Ehrgeiz. Um 9 Uhr morgens mit wirrem Kopf, möchte ich mir nicht die Blösse geben nachher Saure Sahne in meinen Tee kippen zu müssen. Also gehe ich detektivisch vor. Die Verpackung hilft nicht, denn alles ist bunt und hat viele Farben. Das ist nicht anders als bei uns vorm Kühlregal, dort steht auch blaue Milch im Tetrapack, Farbe funktioniert demnach nicht als Kriterium. Hier ist die Entropie das Problem, das halbe Regal hat irgendwelche Kuhmuster auf der Packung, auch auf den Bechern die garantiert eher Joghurt als Milch sind finden sich Kuhmuster. Die Verpackung taugt wirklich gar nicht als Hinweisgeber. Und auch das Schütteln bringt mich nicht wirklich weiter, denn ich bin einfach zu fertig um noch Sahne von Milch anhand des Gewichts und Schüttelverhaltens zu unterscheiden. Meine Rettung ist die Schlauchmilch, denn da ist es völlig unmöglich schon anhand der Konsistenz des Inhalts die Milch mit dem Joghurt zu verwechseln. Aber leider gibt auch die Schlauchmilch keine Übereinstimmung bei den Zeichen mit irgendeinem Tetrapack her, so dass man wenigstens anhand der Zeichenkette auf das Wort Milch auf der Verpackung schliessen könnte. So habe ich es immer an Orten gemacht, an denen ich keine Ahnung hatte wie man die nicht vorhandene Vokabel ausspricht, in Russland und Estland z.B. Aber die Milch bringt mich zur Verzweiflung, besonders in diesem afterhour Zustand. Die lapprige Tütenverpackung ist definitv keine Option, wie soll ich die in den Kühlschrank stellen. Ich finde eine Marke, die einen ziemlich ähnlichen Preis hat und sich auch vom Gewicht her ähnlich anfühlt und beschliesse die Lotterie einzugehen. Kaum 15 Minuten habe ich gebraucht, vielleicht hätte ich lieber noch ein Frühstücksbier mitnehmen sollen ?

Der nächste Tag endet schnell. Zum Sonnenuntergang finden wir uns noch mal am Strand ein, gehen etwas Essen und danach eine Runde Barhopping. Wir machen einen Reiseplan und Treffen uns nach einem weiteren heissen Tag am Strand und Tel Aviv Sightseeing um eine Tour zu unternehmen. Um 2 Uhr nachts sind wir bei unserem Gastgeber im Appartment verabredet um eine Expedition Richtung Sonnenaufgang und Golanhöhen zu unternehmen. Die Gruppe schafft es vorher etwas zu schlafen, was mir leider wieder nicht gelingt da unser Mietwagen eine Anlage hat und ich die Reise an so einen magischen Platz nicht ohne die richtige Musik antreten will. Ich brenne 2 CDs, die langsam anfangen und sich dann auf die zu erwartende Hitze einlassen. Schlafen kann ich auch noch wenn ich langweilig geworden bin, in einem späteren Leben. Als wir den anderen Teil der Gang abholen bin ich total überdreht. Musik und eine nächtliche, halbleere Stadt mit einem coolen Ziel und guter Gesellschaft sind die beste Droge. Die Jungs sind noch etwas verpennt aber ich darf das Auto fahren und die Welt ist gut. Wir verlassen Tel Aviv durch ein düsteres Glasscherbenviertel und einen Highway, der an vielen Hochhäusern vorbei führt. Relativ bald sind wir auf einer beleuchteten Autobahn und bewegen uns Richtung Norden und das Dreiländereck, an dem Libanon, Israel und Syrien angrenzen. Syrien. Gerade noch in den Nachrichten gesehen, mit Bildern, die nicht einladen sich dort momentan aufzuhalten. Es ist nicht einfach die Gegend mit den tatsächlichen schönen Bildern einer unglaublichen Landschaft im Kopf gegen die medialen Bilder von Gewalt, Konflikten, harten Männern und weinenden Frauen auszutauschen.

Unsere nächtliche Reise geht vorbei an einem neuen Fussballstadion, der Münchner Bayern Arena nicht unähnlich. Ansonsten das übliche neben Autobahnen: Shopping Malls und endlose Siedlungen, in denen Menschen schlafen. Mittlerweile sind wir an Haifa vorbei und hören noch verspielten, weichen Deephouse. Dan, unser Gastgeber, Freund und Reiseleiter mit israelischem Pass erklärt viel über die Orte an denen wir vorbei kommen. Da gibt es arabische Siedlungen, eine Stadt in der man billig wohnen kann wenn man nach Tel Aviv pendelt, es aber wohl eine komplett organisierte Kriminalität gibt. Viele kleine und wild durcheinander gebaute Siedlungen und immer wieder Shopping Malls. Auf der Karte erscheint Israel so klein und von daher vermutet man ausserhalb der grossen Städte eher Land. Beim durchfahren merkt man schnell wie dicht es besiedelt ist und wir lernen, dass sich auf der ungefähr gleichen Fläche wie Hessen 7,4 Millionen Menschen befinden. Fragt man nun wie viele davon tatsächlich Israelis sind wird es kompliziert.
Wir halten an einer Tankstelle, die eine gute Kulisse für einen Horrorfilm abgeben würde. Trotz dreispuriger Autobahn ist nichts los, ein einzelner Mann sitzt neben einem Fernseher aus dem laut arabische Popmusik tönt und verkauft alles ausser Alkohol. Allerdings nicht weil es seine religiöse Überzeugung wäre, sondern weil es um diese Zeit einfach verboten ist an Autobahntankstellen. Die Jungs auf der Hinterbank sind nun wach und hätten aber gerne ein kühles Frühstücksbier, aber es helfen keine Diskussionen. Die Hamburger blitzen dementsprechend ab mit ihrem Versuch den Mann zu überzeugen, dass sie doch nur Beifahrer sind. Es hilft nichts, ich freue mich über ein kaltes Wasser und wir fahren weiter. Die Jungs müssen das warme Bier aus dem Auto zum Frühstück trinken. Tropisches Klima kann anstrengend sein.

Kurz vor fünf kommen wir auf dem Berg an, der nach Norden den See Genezareth überblickt. Weiter dahinter kann man die Golanhöhen erkennen und Richtung Südosten geht es nach Syrien. Wir machen einen kleinen Fussmarsch auf den Gipfel. Vorher bekommen wir noch den Hinweis auf Schlangen zu achten. Es ist nicht komplett gefährlich aber es gibt Schlangen, deren Biss tödlich sein kann, schafft man es nicht innerhalb einer guten halben Stunde ein Krankenhaus zu erreichen. Um diese Uhrzeit und mit unserm Plan kann man so etwas einfach nur aus dem Kopf verdrängen. Bei jedem Schritt achte ich darauf ob der Boden vor mir frei ist, denn die Schlangengefahr ist einschätzbar, eine Schlange ist kein Angreifer. Schlangen beissen wenn man sie aufstöbert oder darauf tritt.

Der Sonnenaufgang ist unglaublich. Diesiges Licht lässt das tiefrote Gelb-Orange der Sonne nur erahnen, es taucht das Grün der Landschaft zu unseren Füssen in Millionen von Grautönen. Wir verbringen eine gute Stunde auf dem Gipfelfelsen und können uns an den Farben gar nicht sattsehen. Das wäre der unglaublichste Ort für eine Party, aber es ist wohl ziemlich unmöglich für so einen Ort eine Genehmigung zu bekommen und illegal macht man hier lieber nichts. Dan erzählt uns von Basejumpern und Fallschirmspringern, die hier gerne fliegen, aber man braucht dafür -natürlich- eine Genehmigung und bekommt dann ein Zeitfenster zugeteilt, wenn die momentane Sicherheitslage es zulässt.
Jetzt, wo die Sonne aufgegangen ist und die Hitze schon wieder anfängt weh zu tun verlassen wir das Plateaux um einen Morgenschwumm im See Genezareth zu machen. Wir hören den Krach einer lauten Explosion. Der Sound klingt schon eher nach einer eher ernsten Lärmquelle ist. Während des Weges vom Gipfel zum Berg folgen einige weitere. Das ganze dürfte nur ein paar Kilometer entfernt sein. In diesem Moment bin ich sehr froh einen Local dabei zu haben, der sich hier so gut auskennt. Es gibt aber keine Neuigkeiten über irgendeine aktuelle Gefahr, es gibt nur die Spuren der Vergangenheit, als wir durch die Stadt Tiberias zum See fahren. In der Stadt herrscht sichtbare Armut und Arbeitslosigkeit, obwohl sie landschaftlich total schön liegt und auch einladend wirkt. Die architektonischen Spuren zeigen: es gab hier Ansätze von Tourismus, davon ist aber durch Raketenbeschuss und das anschliessende Ausbleiben von Touristen nicht viel übrig geblieben. Nun verfällt alles zusehens.
Wir geniessen das Bad in dem wunderbaren Wasser des Sees. Es ist so warm, dass man sich ohne Probleme einfach hineinstellt und sich nicht bewegt. Bei der Hitze ohnehin die beste Option. Kleine Fische heften sich an meine Beine und knabbern an der Haut. Zuerst bin ich etwas erschrocken, aber es ist ein lustiges Gefühl. Es ist noch nicht einmal 10 Uhr und die Sonne ist knallheiss. Bevor wir nun Richtung Golan weiterfahren brauche ich dringend eine gute Tasse Tee. Der erste Schub von Erschöpfung und Müdigkeit stellt sich ein. Die Techno CD muss dringend in den CD Spieler.
Joe fährt jetzt und ich bin ganz froh darüber. Nun kann ich in aller Ruhe Kibuzze glotzen und Dans Erklärungen folgen.Wir haben eine lustige Diskussion ob ein Kibuzz nun eine Gated Community ist, oder ob es schon eher eine Religiöse Gemeinschaft ist, die einen Zaun hat. Die Unterschide sind echt nicht einfach, wahrscheinlich sind die Übereinstimmungen mehr. Wir lachen und ich erzähle die Geschichte von dem Film mit dem Schwein von Gaza, in dem ein Fischer ein Schwein findet und irgendetwas mit dem unadäquaten Vieh anstellen muss. Eine wichtige Szene in dieser Erzählung ist der Kibbuzz in dem eine Israelin Schweinesperma für ihre Zucht braucht, aber die Unwägsamkeiten des Mannes um zum eingezäunten und bewachten Kibuzz zu gelangen sind der eigentliche Lacher. Wir denken über einen Bar 25 Kibuzz am Spreeufer nach und haben ganz viel Spass auf dem Weg in das Dreiländereck im letzten Zipfel des Landes. Vor uns liegen Jordanien und der Libanon rechts Syrien. In diesem entlegenen Tal hören wir wieder Beschuss, mitten in einem Wellnesstempel mit angeschlossener Krokodilfarm, Schwimmbädern und einem riesigen Palmenhein. Leider haben wir zuwenig Zeit und können hier keine Drei Stunden Zwischenstop zum abhängen und schlafen machen. Wir fahren den Berg hoch und sind auf der Golanhöhe. Ich habe selten so einen Horizont gesehen. Kilometerweit gibt es grüne und braune Hügel, das Land sieht sehr fruchtbar und unglaublich sanft aus. Linker Hand haben wir einen tollen Blick auf den See, vor uns Windfarmen, Felder und viel Land auf den Höhen. Vorbei an den Ruinen eines syrischen Gotteshauses kommen wir zu einem Aussichtspunkt an dem man herrlich nach Syrien gucken kann und auf dem Windräder stehen. Viel interessanter sind aber die verlassenen Miltärgräben und die verminte Umgebung, Relikte einer Auseinandersetzung aus den 70er Jahren. Ich hüpfe in den Schützengraben und spiele mit einem Überrest von einem Geschoss, das sich drehen lässt. Wahrscheinlich ist das meine Art mit den Kriegsspuren umzugehen, zumal um uns Herum viel Gebiet abgezäunt ist weil es nach wie vor vermint ist . Manchmal fühlt es sich sehr komisch an, einen deutschen Pass zu haben. Wir sind Exportspitze nicht nur im Bezug auf Techno , sondern auch im Bezug auf Hochtechnologie und dazu gehören auch Minen und Waffen.
Wir landen auf einem Weingut, denn in den letzten Jahren hat sich auf dem Plateaux eine kleine und feine Szene von Weinbauern angesiedelt. Wir können bei einer Weinprobe mit dem Besitzer sprechen. Seine Erklärungen über sein Herangehen an den Weinbau sind total ähnlich wie ein Gespräch über Minimal. Er erzählt warum er keine Lust auf einen sehr kompatiblen Weingeschmack hat, sondern lieber eine nicht so oberflächliche und vordergründig rezipierbare Süsse erzeugt. Von daher hat er eine ausgwählte und kleinere Kundschaft hat aber diese gouttiert seine Attitüde. Es geht ihm um das Erkennen eines bestimmten Geschmacks. Beim weiterfahren haben wir ein intensives Gespräch über die Analogie zur Musik. Es gibt einen grossen gemeinsamen Mainstream auch im Techno aber den wollen wir alle nicht bedienen – unsere Clubjungs nicht und wir DJs nicht. Geschmack entsteht jedoch nicht im luftleeren Raum, man muss Gleichgesinnte finden, denn weder Musik noch Wein zelebriert man gerne allein. Eine andere Analogie ist die mit der Sonne, denn auf dem Golan gibt es soviel davon, dass es für die Trauben ein ernsthaftes Problem ist nicht zu schnell zu süss zu werden. Fast so wie die Menge an Parties in Berlin, davon haben wir auch mehr als anders wo und man muss dann doch hin und wieder aufpassen nicht zuviel davon ab zu bekommen. Wir sind im Kichermodus, auch uns bekommt die Hitze nicht.

Wir fahren weiter zu einem Aussichtspunkt Richtung Jordanien. Auf dem Weg sehen wir zwischen wenigen und ziemlich ärmlichen Häusern am Wegesrand sehr speziell gekleidete Menschen. Dan erklärt uns, wir seien nun auf drusischem Gebiet. Man lebt von und mit dem wenigen, was man Anbaut. Eine Freundin hatte mir erzählt, dass sie lange Zeit auf der anderen Seite der Grenze geforscht hat, und dort sei es fast unmöglich Dinge anzubauen und sich zu ernähren weil all das Wasser nach Israel gehe. Wenn ich das vergleiche mit dem, was wir am Wegesrand sehen weiss ich gar nicht mehr was ich denken oder wem ich was glauben soll. Klar ist, es gibt viele arme Menschen im gelobten Land und je mehr ich ankomme und mich dem Land annähere, desto mehr sehe ich davon. Aber wie soll ich nach zwei Tagen etwas verstehen, was Kenner nach zehn Semestern Studium nicht erklären können?

Wir machen Mittagspause in einem Hexenrestaurant in der Gegend. Auf einem der Hügel, mit wunderbarem Blick hat man einen netten Ort geschaffen um die Spezialität des Hauses zu essen, Eintopf. Nicht gerade ein Sommeressen aber drinnen hat es ca 15 Grad weniger. Die Klimaanlage gleicht einem Kühlschrank, aber ich finde das nicht völlig verkehrt, zum Essen ist es wirklich angenehmer. Auch etwas, was ich mir in Berlin echt schwer vorstellen konnte, eine Klimaanlage gut zu finden.

Alles wirkt etwas zusammengeschustert. Die Toiletten sind in einer Hütte an der Seite des Haupthauses und viele der Möbel und Kücheneinrichtung sind selbst gebastelt. Aber viel Tourismus und Geschäft ist auch hier nicht zu erwarten. Ich wüsste nicht warum ich an diesem unwirklichen Ort länger als ein Mittagessen bleiben sollte. Die Landschaft ist schön aber wir befinden uns in einer völlig belagerten Zone. Selbst wenn gerade fragiler Frieden herrscht, ist einfach mal auf die andere Seite Fahren nicht möglich. Nach dem leckeren Essen inmitten hunderter von Hexenfiguren fahren wir weiter wieder Richtung Küste um noch einen Wasserfall am Weg zu besuchen.

Der Wasserfall zeigt eine andere Seite Israels, grün und reich an Wasser. In einem schroffen Tal schlängelt sich ein kleiner Fluss, an dessen Seiten hohe Palmen vor der gnadenlosen Sonne etwas Schutz bieten. In diesem Schutz gedeihen zahlreiche Pflanzen und es ergibt sich ein idyllisches Bild. Die Luft unter den Bäumen ist feucht und gleich ein paar Grad kälter. Mittlerweile ist es später Nachmittag und wir sind sehr froh über diese Abkühlung. Die Hitze macht uns zu schaffen. Ohne Schutz ist nicht daran zu denken in die Sonne zu gehen. Wir sind vermummt mit leichten Tüchern. Das glasklare Wasser des Flusses hat nicht mehr als 15 Grad. Es fühlt sich wunderbar an. Wie machen eine Pause am Flüsschen, alles andere ist voll mit Israelischen Touristen, die einen Ausflug machen. Und es kostet Eintritt. Dan ist darüber reichlich empört, er erinnert sich an seine Kindheit, als man dort hin fuhr um ein Wochenend Picknick mit der Familie in der freien Natur zu machen. Heute ist alles eingezäunt und disneyifiziert. Man kann sich dieses frühere Paradies nur noch vorstellen, aber es muss wirklich unglaublich gewesen sein. Selbst was heute in der domestizierten Natur davon noch übrig ist, ist Wahnsinn.

Nun werden wir langsam richtig müde und treten den Heimweg an. Wieder kommen wir an Siedlungen mit den unterschiedlichsten Ethnien vorbei. Wir werden von einem Pickup mit Spezialpolizei auf der Ladefläche überholt. Ich traue meinen Augen nicht, wie die Uniformierten angezogen sind und wie sie da stehen. Es erinnert stark an Rambo Filme. Der Pickup biegt in eine Siedlung ab und man weiss nicht wer dort wen, mit welchen Gegenständen bewirft aber freundlich ist hier gar nichts. Wir fahren an anderen Siedlungen vorbei, die man nur über Grenzübergänge erreichen kann, da sie palästinensisches Gebiet sind und wir erfahren, dass es möglicherweise nicht ungefährlich ist dort hinein zu fahren. Ich kann das nicht beurteilen, befürchte aber um das zu erkunden bräuchten wir etwas mehr Zeit und Erfahrung. Am ende landen wir auf einer Autobahn, die Geld kostet man muss aber erst Zahlen wenn man die Rechnung später zugeschickt bekommt. Die Zahlung funktioniert über ein System, das Kennzeichen scannt. Wir halten an einem Kaffe welches einer Kette angehört die Aroma heißt aber ich darf die Tasse mit meinem Namen drauf nicht mitnehmen weil wir von mindestens zehn Kameras gleichzeitig überwacht werden. Ich bin müde, gerade ist mir das alles ein bisschen zuviel Sicherheitsblabla. Ich muss dringend etwas essen und ins Bett, danach denke ich sicher etwas gnädiger über all das gesehene nach.

Heute ist der vierte Tag unser Reise und nun geht der Partymarathon los. Hier ist Donnerstag Abend der Freitag und Bela Brandes, Dan und ich sollen im Shesek spielen. Viel habe nicht gehört über den Laden, ausser, dass es kein Club sondern eher eine Bar mit Tanzfläche ist. Das sind keine besonders guten Vorzeichen, ich bin kein Bar DJ und will auch keiner werden, wahrscheinlich hätte ich den Gig nicht zugesagt wenn er nicht zusammen mit Bela und Dan wäre. Nun habe ich Bedenken, ich will keinen Sing-a-Songwriter kram spielen und auch keinen gefälligen House. So etwas ist nicht mein Stil, Bela und Dan beruhigen mich und sagen, dass ich ohnehin als letzter DJ Spiele und da dürfe man auch tanzen. Aber so richtig wohl fühle ich mich bei der ganzen Sache immer noch nicht.
Als ich im Club ankomme mache ich mich ein wenig locker. Der Sound klingt zwar nach lautem Hifi Sound aber die Location macht einen sympathischen Eindruck. Im vorderen Teil befindet sich eine Bar mit dunklen Tapeten, im Anschluss daran die Tanzfläche, um die herum einige Bänke und Clubhocker stehen. Weiter hinten sind die Toiletten. Insgesamt passen wohl so um die 100 Leute gleichzeitig in den Laden, man erzählt uns jedoch, dass es im Laufe der Nacht durchaus mehr sein können, denn das Shesek liegt zentral und man schaut hier gerne zum Anfang oder zwischen zwei andern Partybesuchen mal eben vorbei. Ich wundere mich ein bisschen, dass in einer Klimazone wie hier, wo es nie richtig kalt wird so viel drinnen gefeiert wird. Der Lt. waltet seines Amtes und organisiert mich, noch nicht ganz angekommen sagt er ich solle meinen DJ Kram aufbauen.

Ich bin total durch den Wind, das ist der Moment wo ich gern ein DJ mit USB Stick wäre oder einer mit Vinyl, da kann man wenigstens nur die falschen Platten oder Tracks spielen. Ich hingegen bin Opfer meiner Kabel. Dieser Zustand ist mir nicht ganz neu und ich versuche ihm regelmässig ein Schnippchen zu schlagen indem ich beim zusammenpacken alles logisch vor mir hinlege, so dass ich den Signalweg nachvollziehen kann. Aber trotzdem bin ich heute ich Opfer meiner Verwirrung. In diesem Moment bemerke ich, meine externe Festplatte mit der Musik fehlt. Mist ! Aber wenigstens habe ich sie nicht in Deutschland vergessen sondern nur im Appartment. Ich sage dem Lt. Ich brauche noch einen Moment und weihe zwei der Jungs ein, sie sollen sich eine glamuröse Ausrede einfallen lassen. Ich weiss sie lassen mich nicht im Stich.
Ich laufe eine Abkürzung durch den nächtlichen Souk zurück und versuche meinen Ärger vergessen. Wenigstens habe ich es noch rechtzeitig bemerkt, aber ich bin nicht mit meinem normalen Rechner hier sondern habe extra einen alten Rechner für die Reise reaktiviert. Mein normaler DJ Rechner ist auch mein Studiorechner und als ich im Vorfeld die freundliche Notiz auf der Internetseite Israels über die Einreisebestimmungen las war mir klar ich brauche einen frischen Rechner, der im Zweifel auch da bleiben kann. Da stand, äusserst freundlich umschrieben, der persönliche Computer würde im Falle einer Überprüfung in spätstens 2-3 Wochen nachgesandt werden. Dann lieber doch eine alte Kiste aktivieren, Daten runter und ein jungfräuliches und vor allem komplett gesichertes System darauf. Das waren drei Tage Arbeit , aber meine Privatsphäre ist mir heilig und mein Rechner auch. Und nun tue ich Busse dafür. Aber egal, ein nächtlicher Spaziergang tut mir ganz gut und im Club tut sich noch nicht viel. Ausserdem habe ich zwei nette DJ Kollegen, also alles gut.
Als ich zurück komme werde ich schon sehnsüchtig erwartet, jedoch nicht zum Auflegen , sondern zum Burger essen. Auch gut ! Einen kleinen Burger schaffe ich auch vorm Musikmachen, ansonsten ist es ein Unding vorher gut und viel zu Essen. Man vergisst immer gern, dass es ganz schön harte Arbeit ist, bei mindestens 80 Dezibel in einer Rauchsauna die Aerobic auf der Tanzfläche anzuleiten. Und Rotwein zum Essen geht schon überhaupt nicht. Das fühlt sich für mich an, wie ich mir Heroin vorstelle. Es wird alles warm und etwas benebelt und ich habe ungefähr Null Willen und Energie noch irgendetwas zu unternehmen. Aber ich habe heute noch vor die Meute aufzumischen, also geht nur ein Snack, das passt besser. Hunger an sich habe ich schon, denn ich habe den ganzen Tag noch kaum was gegessen, also freue ich mich sehr über den angeblich leckersten Babyburger der Stadt. Ein Bier bekomme ich auch in die Hand gedrückt. Auch das ist eigentlich ein Anfängerfehler, denn ohne Drogen möglichst lange wach zu bleiben geht für mich nur wenn ich erst kurz vor Ende der Party Alkohol trinke, denn er macht müde. Aber heute mit der Kontaktgruppe im Schlepptau ist es ok , die Jungs sind angenehm hibbelig und stecken mich total mit ihrer Vorfreude an, da geht auch ein Bier. Später werden es sogar noch zwei mehr. Und alle lachen über uns alte Partyhasen den übelsten aller Fehler zu begehen, am ersten Tag eines Wochenendmarathons schon total krass loszufeiern. Auch wir selbst lachen ziemlich herzlich über uns.

Das Shesek wird uns erzählt, ist eine Institution in Tel Aviv, weil es schon seit 15 Jahren immer gutes Programm bietet und angeblich gehen hier gute Parties. Als wir vom Burger zurückkommen ist es kurz nach Mitternacht und ganz gut gefüllt. Das Publikum ist sympathisch, zwischen Chic, etwas freakig und ziemlich Jung. Anders als in Berlin sieht hier kaum einer älter als 30 aus. Und sie haben Spass, es wird geschaukelt, gewackelt mit Glas in der Hand und auch ein bisschen geschrien. Man blickt sich ins Gesicht, es gibt auch genug Licht dafür. Unter der grossen Discokugel, die wie ein Damokles Schwert über der Tanzfläche hängt lachen sich viele an, die offenen Gesichter strahlen. Plötzlich komme ich mir doof vor, ich konnte mir das im Vorfeld so schwer vorstellen, ob man in einem Land mit so vielen Anschlägen einfach in einen Club gehen kann, aber offenbar habe ich ein völlig falsches Bild. Ich tanze und werde prompt von zwei witzigen Jungs angesprochen, die fragen ob ich Aroma sei. Sie sind extra gekommen weil sie eine Facebook Einladung gesehen haben und ihnen die Musik gefallen hat. Gerade noch legt der Leutenant auf. Wir haben ihn mit seinem DJ Namen schon ein paar Tage aufgezogen, aber für ihn ist es kein Wiederspruch Pazifist zu sein und wie alle hier 18 Monate bei der Armee gewesen zu sein. Aber ich glaube sein Name ist eher eine Anspielung auf sein Organisationstalent, welchem wir auch diesen Abend verdanken. Ich bin überrascht wie breitgefächert sein Musikstil ist, ohne dabei beliebig zu sein. Als ich losging war er bei Sing-a-songwriter Tracks und jetzt spielt er sehr tanzbaren, sonnigen Techno. Macht Spass ihm zuzuhören. Teile der Entourage sind noch schnell um die Ecke in einem anderen Club, der leiser ist und dadurch im freien, aber das kommt für mich nicht in frage. Ich würde auch gerne draussen tanzen, es ist ein wunderbarerer, heisser Sommerabend, aber von der eigenen Fete weglaufen für länger geht nicht.
Inzwischen legt Bela auf und spielt schönen Hamburger Sound. Total elegant und zurückgenommen, trotzdem groovt es von unten heraus. Ich bewundere das, diese vornehme Zurückhaltung schaffe ich nicht. Es ist ganz interessant zu erleben wie die Stadt in der man hauptsächlich Zeit verbringt den musikalischen Stil prägt. Gut , ich spiele nicht unbedingt typisch deepen Berliner Sound aber auch mir hört man die Freiheit der Stadt an. Berlin ist etwas wilder und rauher, Hamburg dagegen ist komplett gerade, die Musik bleibt auf einer Linie und überzeugt damit. Der Hamburger verzieht musikalisch ganz oft keine Mine und Bela heute Abend auch nicht. Tel Aviv kommt darauf gut zurecht, die Party hat ein gutes Niveau und ich bekomme ein Zeichen ich solle meinen Computer anschliessen.

Natürlich sitzt der Geist in der Maschine. Ich habe das Gefühl er lacht mich aus. Eigentlich hätte es gereicht 2 CDs für die lausigen 2 Stunden Spielzeit zu brennen, aber ich wollte ja grosses Besteck, mein Spielzeug mit Controlvinyl, Controler, Loops und Soundkarte. Der Plattenspieler ist so schlecht in schuß, dass nicht mal meine eignen Systeme mit meinen frischen Nadeln helfen. Das Kabel ist einfach abgerockt, die Soundkarte bekommt kein Signal. Das gleiche Spiel beginnt an dem völlig verklebten, eingebauten und mindestens 10 Jahre alten Vestax Mixer. Ich bin echt genervt. Ob von meiner Sturheit immer das beste rausholen zu wollen oder ob von der Frechheit bzw. Ignoranz der Betreiber solches Equipment in einen Laden zu stellen, der sich Musikliebhaberschaft auf die Fahne schreibt, keine Ahnung, denn ich muss mit dem Chaos erst einmal zurechtkommen. Der Mixer hat genau 5 Kanäle von denen 2 kaputt und 2 schon mit den CD Spielern belegt sind. Bis ich herausgefunden habe, dass das so ist und welche Kanäle gehen und welche nicht, vergeht gut eine viertel Stunde. Wenn es wenigstens ansatzweise Licht gäbe, aber ich muss einen verkrusteten Stecker nach dem anderen in völliger Dunkelheit rausziehen und testen. Irgendwann läuft es dann endlich und ich beginne mit einer CD, denn hinter dem DJ Pult ist unmöglich Platz für Zwei. Es dauert keinen halben Song bis die Tanzfläche bemerkt, dass Berlin mehr Druck macht als Hamburg, die Party kann weiter Richtung Höhepunkt gehen. Trotz wirklich langsamer 120 BPM macht der Sound um die Hüfte einen schönen Groove. Wir fangen gerade an das Flugzeug in die Luft zu bringen, da bemerke ich, dass der andere Kanal einen Wackelkontakt hat und das Signal nur manchmal komplett durch kommt. Der CD Spieler zeigt noch drei Minuten Laufzeit, bis dahin muss die Sache gerichtet sein. Ein Alptraum, von entspanntem zusammen mixen Lichtjahre entfernt. Bela ist ein super Kumpel, er sieht die Situation ohne grosse Worte, fragt ob er schnell eine CD auflegen soll und verschafft mir damit weitere 5 Minuten in denen ich beschliesse auf den sicher funktionierenden Kanal des zweiten CD Spielers auszuweichen. Langsam bekomme ich Mordphantasien. Einer der Jungs vom Laden hatte vorher noch eine riesen Klappe wie toll doch hier alles wäre, angesichts von solcher Schrottechnik, die ich nicht einmal zu Hause haben wollen würde frage ich mich wie weit die Musikliebhaberschaft hier wirklich geht, oder ob es einfach nur ein verdammt gutes Marketingargument ist. Wie soll man hier ein extrem gutes Set spielen wenn es so anfängt ? Egal, ich fange mich ziemlich schnell, ich bin nicht 6000 KM weit gereist um jetzt hier das Mädchen zu machen. Bevor hier nicht jeder einen wilden Abend hat und dreckig oder glücklich grinst ist meine Mission nicht erreicht. Es gelingt, der Funke ist schon am zündeln und es dauert eine gute halbe Stunde, bis Berlin wieder ein paar soundverzückte, begeisterte und vielleicht zukünftige Einwohner mehr hat. Der Sound ist anders als normal hier und die Leute im Shesek lassen sich freundlich drauf ein. Es ist wunderbar, denn soviel Offenheit findet man nicht überall. Nach gut zwei Stunden haben wir uns alle Energien aus dem Leib gefeiert. Zeit für das nächste Bier und der Leutenant übernimmt wieder. Vielleicht liegt es an der Stimmung des Abends vielleicht war er einfach schon oft genug in Berlin aber so unterschiedlich klingt sein Sound nun auch nicht mehr.
Man sagt, es sei eine Tel Aviver Eigenart, von Bar zu Bar zu ziehen, ich wundere mich nur warum die Leute so schnell weglaufen. Keine 15 Minuten nachdem ich aufgehört habe ist der Laden halbleer, obwohl die Musik immer noch den gleichen Drive und Groove hat. Leider hört man aber jetzt, wo der Raum eine grössere Rolle spielt wie Hifi-mässig das alles klingt. Wir schnappen uns Getränke und setzen uns auf die Bank vor dem Laden. Es ist immer noch eine laue Sommernacht, wenn auch mittlerweile sehr spät. Wir kommen ins Gespräch mit einem von den Barmädchen. Ihre Eltern sind Russen, nach Israel eingewandert und sie liebt ihr Land hat aber kein Geld ihre Grosseltern in Russland zu besuchen. Sie war noch nie ausserhalb von Israel und ist völlig tätowiert. Das Gespräch nimmt eine komische Richtung, sie versteht nicht warum ich nicht heiraten will. Ich finde diese Frage an sich schon befremdend, in 15 Jahren DJ Leben habe ich die Frage, ob ich verheiratet sei und warum nicht, noch nie so ausführlich diskutiert. Aber wir bleiben freundlich, ich erkläre ihr dass ich einfach kein Beziehungsmensch bin und mein wildes Partyleben das auch gar nicht zuliesse und sie ist beeindruckt von den vielen Orten an denen ich schon Musik gemacht habe. Auch gut! Bela rettet uns mit dem nächsten Bier, wir werden für den nächsten Abend zum Essen auf eine Dachterasse eingeladen, da taucht die Entourage aus dem Nichts wieder auf und sagt wir sollen jetzt noch weiter feiern gehen. In einer Disco, DER Disco von Tel Aviv legt heute Steve Bug auf und einer unserer Freunde kennt noch vom letzten mal den Hintereingang, als er bei Modeselektor spät dort endete. Mich muss man nicht lange überreden, ich versuche noch jemanden aufzutreiben, der uns eine Gästeliste klar macht und schon sitzen wir im Taxi.

Dort angekommen bin ich knallnüchtern. Der Ort ist unwirklich auf der Stirnseite eines Busbahnhofes gelegen und könnte eine schöne Kulisse für einen weiteren Splatterfilm abgeben. Überall laufen russische Securities herum, in martialischem Outfit, Stiefel, schwarzer Kampfmontur und mit Waffen. Ich bin leicht schockiert und würde hier sicher alleine keinen Fuss hereinsetzen, wenn ich nicht die Crew dabei hätte und lauter Leute aus dem Shesek herumlaufen würden. Offenbar ist das hier der Ort an dem sich alle treffen, die noch nicht nach Hause wollen oder nicht mehr können. Wir scheitern an der Tür, der Russe versteht nur Russisch und ansatzweise Hebräisch, aber kein Wort Englisch. Unsere Rettung ist ein Mädchen, die bei uns vorher auf der Tanzfläche war und dem obermufti Türsteher erklärt dass wir ebenfalls DJs aus Deutschland wären. Der Laden innen ist ganz nett und für mich um diese Uhrzeit genau das richtige. Eine wirklich gut klingende, ordentlich laute Turbosound Anlage und Steve Bugs Musik. Ich bin sofort auf der Tanzfläche. Die Jungs gehen direkt hinter das DJ Pult um guten Tag zu sagen, aber leider ist es seine letzte Platte und er sofort im Nebel nach hinten verschwunden. Ich bemerke es auch nur weil sich die Tanzfläche auf einmal komplett leert. Als hätte man bis zur letzten Platte gewartet und dann geht man weg wie bei einem Konzert ? Naja, hatten wir irgendwie schonmal heute Abend, scheint also öfter vor zu kommen.

Fünf Minuten später landen auch wir an der Bar, leider ist der Resident DJ echt unsäglich schlecht. Wir sind ständig am hin und herlaufen zwischen Bar und Tanzfläche, denn eigentlich wären wir jetzt genau frisch für ein paar Stunden in der dunklen Diskohöhle. Die Anlage hätte es verdient und wir verdammt nötig. Aber die Musik schwankt zwischen sinnlos düsterem Minimal, den man schon seit Jahren nicht mehr hören mag und Cover Versionen alter Hits wie von Deelite`s “Groove is in the heart”. Wir fühlen uns ein wenig betrogen um unsere Tanzfläche und versuchen es im Housefloor nebenan, wo die Musik besser ist, aber die Anlage dafür umso schlechter. Es sind nicht mehr viele Leute da, und Joe, als Clubbetreiber einer der so etwas sieht, rechnet uns vor was diese Unmengen von Securities, die hier herumlaufen wohl kosten. Von mir aus müssten die aber nicht sein, sage ich und mache die Gegenrechnung auf ohne sie. Ich fühle ich mich von diesen Typen überhaupt nicht beschützt sondern eher bedroht. Umgekehrt wissen sie mit soviel Energie um die Uhrzeit auch nicht viel anzufangen und beobachten uns. Aber wir haben soviel Spass und ich geniesse es total, endlich mal selbst die Nervensäge im Club sein zu dürfen, die nicht nach Hause gehen will. Ich glaube Berlin kann als Tourist schon spass machen, wo es erstens immer sehr lange geht und einem zweitens kaum jemand die Feierei übel nimmt. Aber manchmal ist es schon anstrengend die völlig verpeilten Touristen irgendwann weg zu schicken. Heute darf ich mal Tourist sein.
Der Laden schliesst und wir haben uns immer noch nicht ausgetobt. Der grosse Luxus an unserem Appartment ist ein gutes, und für ein Hifi System ziemlich lautes, Soundsystem in unserem Wohnzimmer. Ausserdem haben wir noch eine kalte Flasche Sekt. Der arabische Taxifahrer, der uns am Meer entlang nach hause bringt hat natürlich irgendeinen Bekannten in Berlin und schwärmt. In der frühen Sommersonne höre ich mindestens 20 mal „my friend“. Wenigstens müssen wir diesmal nicht um Preise stressen. Wir feilschen ein bisschen, für beide Seiten ok und das Meer ist blau. Allenby, wir kommen.

Wir haben ein ganz klein weinig ein schlechtes Gewissen den Nachbarn gegenüber, aber unter uns ist auch ein Appartment für Touristen und ausserdem ist es zehn Uhr vormittags. Wir beschliessen ein weiteres mal im laufe dieser Nachtaktion, dass wir auch endlich einmal Touristen sein dürfen. Der Sekt schmeckt hervorragend. Nach einer Stunde ist er alle, der Podcast zu ende und wir nur noch Zwei statt Drei. Wir beschließen zum Strand zu gehen und nehmen ein warmes Bad im Meer, nachdem wir uns in der halben Stunde, die wir im Wasser waren einen Sonnenbrand abgeholt haben langt es uns mit dem Touristen Dasein. Auch wir geben endlich ruhe und gehen schlafen, schliesslich ist heute Abend ja auch noch eine Party und das soll der bessere Abend der Beiden sein sagt der Leutenant.

Mehr als ein paar Stunden Schlaf lassen Adrenalin, Endorphin und die Hitze nicht zu. Die Klimaanlage röhrt wie ein Kampfflieger und ich ertrage es einfach nicht in einem lauten Armeekühlschrank zu schlafen. Nach drei Stunden beginnt der Kühlschrank wieder tropische Klimaverhältnisse zu entwickeln und ich wache auf. Alle anderen schlafen noch. Mir tun die Füsse weh. In unserem jugendlichen Überschwang hatten wir die Schuhe für die 200 Meter zum Strand zu Hause gelassen. Eigentlich schlau, denn wir wollten möglichst wenig dabei haben, was wir verlieren können. Man hinterlässt ja beim Feiern immer auch gerne so seine Spuren und wundert sich dann am nächsten Tag. Nun wundere ich mich leider gar nicht, denn auf dem Hinweg ging es noch, aber auf dem Rückweg war der Asphalt von der Sonne so aufgeheizt, dass wir ungewollt auf einer Herdplatte nach Hause tänzelten. Zweimal machten wir einen Zwischenstop um die Fußsohlen im Schatten eines Hochhauses auszukühlen. Und nun liege ich knallwach herum und sie tun weh. Aber wenigstens habe ich keinen Kater von dem Sekt zum Frühstück, dafür bin ich bei dieser Hitze wirklich dankbar. Ich beschliesse etwas Musik zu machen und schlafe über einem Loop wieder ein. Das nächste mal, als ich aufwache ist es später Nachmittag und die Jungs stehen neben meinem Bett. Die Sonne steht tief genug um sich an den Strand zu wagen und ein Frühstück anzupeilen. Aber mehr als einen Kaffe bekomme ich nicht herunter. Wir sitzen unter einem Sonnenschirm mit tausenden anderer, die Abkühlung am Meer suchen. Die Kellnerin ist total freundlich und erkennt sofort wie durchgefeiert wir sind. Insgeheim bewundere ich sie, wie sie grosse Wege mit schweren Tabletts im tiefen Sand zurücklegt. Der Strand ist ein typischer Stadtstrand. Eingeklemmt zwischen einem grossen Bürgersteig, zwei Radspuren, einer vier spurigen Schnellstrasse und einer langsamen Parkstrasse befindet sich dahinter ein ca 50 Meter breiter Sandstrand, an dem die Bars bis zum Wasser hin Plastikstühle aufgestellt haben. Für den Moment ein ziemlich lustiges Szenario, es ist randvoll, weil Freitag ist. Freitag ist frei, die Woche ist um einen Tag verschoben, wegen religiöser Festlichkeiten. Hier am Strand ist das ziemlich egal. Familien und Freunde treffen sich, alle suchen etwas Abkühlung im badewannenwarmen Wasser. Kinder Surfen mitten zwischen unzähligen Menschen, die wie Spargel ein Pläuschen in der Wellenbadewanne halten. Hinter uns die beeindruckende Skyline von Tel Aviv.
Links von uns ist Jaffa und der Strand von Jaffa. Das ist der arabische Teil. Meiner Vorstellungskraft entziehen sich diese Grenzen. Ich frage den Leutenent , ob Viertel hauptsächlich von einer bestimmten Bevölkerungsgruppe bewohnt werden oder ob man da nach Pass oder Ethnie getrennt wohnen muss. Aber es ist mal wieder viel komplizierter. Und eigentlich ist meine Frage auch doof, auch in anderen Ländern ist es sicher Teil einer form von Ausgrenzung wenn sich alle in bestimmten Vierteln treffen. Aber in Deutschland kann ich das kulturell besser analysieren. Ich versuche gar nicht in den fünf Tagen, in denen ich hier bin, diesen lokalisralischen Wahnsinn zu verstehen. Ein Gespräch dazu hatten wir schon auf unserem Golanausflug und was soll man auf die Frage antworten, wer wo und wann die älteren Rechte auf Landbesitz und Nation hat, auf die man historischen Rückgriff nehmen kann ? Wie weit schaut man zurück: 30 Jahre , 100 Jahre , 2000 Jahre? Ich habe in der Uni gelernt wie man für alles einen Begründungsmodus entwickeln kann und habe von dieser Region zugegeben zu wenig Ahnung um eine Meinung dazu zu entwickeln. An unserem Strand in Tel Aviv gibt es kaum sichtbare Formen von irgendwelcher Religiösität, weder Kopftuch noch Kippas. Aber das heißt nichts, vielleicht sieht man sie auch einfach gar nicht und dann wäre als nächstes die frage warum und wie freiwillig oder unfreiwillig das geschieht? In Jaffa im Zentrum sieht alles dermaßen auf Hochglanz und Tourismus aufpoliert aus, dass ich mir schwer vorstellen kann wie ein arabischer Taxifahrer dort eine Miete bezahlen soll? Ich döse so vor mich hin in dem lauen Wind. Den Bikini ziehe ich gar nicht mehr aus, weil er sowieso sofort wieder trocken ist. Es gibt eine kleine Welle aber Surfen will ich heute nicht. Ich merke wie mir die letzte Nacht zugesetzt hat. Ich muss Kräfte sammeln sonst wird das heute Abend nichts mit einer komplett wilden Tanzfläche. Als ich meinen zweiten Kaffee bekomme, den ich bezahle, grinst unsere freundliche Bedienung schelmisch und fragt warum keiner der Jungs zahlt und ob ich nicht verheiratet sei mit einem. Ich versuche die Konversation ins absurde zu lenken und entgegne, dass ich sie -wenn überhaupt- dann alle Heiraten würde, da sie nur als Gruppe gut genug für mich seien. Aber sie lacht und besteht auf der Frage. Ich sage für mich käme Heiraten nicht in Frage weil ich keinen Sinn darin sehe aber es fällt ihr schwer das zu verstehen. Ich verstehe diese Fragen nicht, in zwei Tagen ist es das zweite mal, dass Heiraten ein ganz grosses Thema ist. Ich kenne in meinem deutschen Freundeskreis genau zwei Freundinnen die verheiratet sind, und beide sind bereits wieder geschieden. Komische Fragen hier. Direkt nach Sonnenuntergang wackeln wir nach hause um noch eine Stunde Schlaf zu bekommen, denn um 21 Uhr müssen wir zum BBQ auf dem Dach sein. Und um 23:00 geht die Party los.
Endlich schaffe ich es eine Stunde zu schlafen. Mein Mangel hat drogenzustandsähnliche Aussmasse angenommen. Ich fluffe durch die Gegend und frage mich welche Kabel ich heute vergesse. Zwischendurch macht mein Rechner die Grätsche und ich denke ernsthaft darüber nach heute mit CDs zu spielen. Vielleicht werden das ein paar weniger wilde Mixe mit CDs aber dafür hätte man garantiert keinen Ärger. Dann beschliesst der Rechner doch wieder zu funktionieren und ich habe einfach keine Energie mehr Cds zu brennen. Ich brate 4 Stück mit denen ich mich im Zweifel durchmogeln könnte, da es die ganzen neuen Tracks sind die ich spielen möchte, aber eigentlich will ich den Rechner. Ich befürchte dass diese Zeit sowieso bald dem Ende zu geht. In allen grösseren Clubs stehen inzwischen CD Spieler, die genauso viel können wie Traktor und ich denke es wird nicht mehr lange dauern, da wird ein DJ maximal 2 USB Sticks dabei haben.

Wieder laufen wir in den Souk. Nachts sieht der verschachtelte Markt etwas unheimlich aus. Viele Menschen leben hier auf engstem Raum und das Leben findet mehr auf der Terasse oder der Straße statt als in den engen Wohnungen. Unsere Gastgeberin hat ein Appartment von gerade mal 15 Qm Grösse, unvorstellbar. Denkt man die Terrasse mit schönem Blick jedoch dazu, kommt man auf gut 60 Qm und das reicht zum wohl fühlen. Auf der Terrasse stehen Sofas und ein Tisch und am Rand grillt jemand leckeren Oktopus mit scharfer Sosse. Dazu essen wir Hummus, Unmengen von Salaten und kleinen Leckereien. Die Qualität und frische der Lebensmittel macht mich ein wenig neidisch. Die Tomaten im Salat schmecken nach Sonne und nicht nach Treibhaus und der Fisch ist unglaublich zart und zergeht förmlich auf der Zunge. Auf dem BBQ sind viele junge Deutsche, die hier leben. Einige sind nur für eine Weile da und arbeiten in irgendwelchen Deutsch-Israelischen Organisationen, die sich auf die gemeinsame Geschichte beziehen. Andere sind hier irgendwie gelandet und haben ganz normale Jobs. Wir kommen auf das Thema Sicherheit zu sprechen und die Gastgeberin erzählt, wie letzten Winter wieder Raketenangriffe waren und man deshalb die Eingangstür zu den Häusern unten offen liess, damit sich alle im Falle eines Alarms dort verstecken konnten. Ich frage sie wie man Lust haben kann freiwillig unter solchen Bedohungsszenarien zu leben und sie sagt, es passiere ja nicht mehr viel, und man blendet das einfach irgendwann aus. Vielleicht ist das so, denn auch wir sind hier und haben nicht das Gefühl es wäre in irgendeiner Weise gefährlicher als daheim. Aber vielleicht ist das auch ein ziemlich euphorischer Trugschluss?

Ich laufe zum Club der gleich um die Ecke auf der Allenby Strasse ist. Die Allenby ist so etwas wie ein großer Boulevard, ziemlich lang und voll mit allerelei Nachtvergnügen. Heute Abend spielen wir im Deli, mitten drin. Würde man es nicht wissen, man würde es nicht vermuten dass es ein Club ist. Der Club versteckt seinen Eingang in der Hintertür des Sandwichladens. Beide heißen Deli, für Delikatessen. Auf Strassenhöhe sieht man fleissige Menschen, die in einem kleinen Laden mit großem Schaufenster leckere Sandwiches herstellen. Durch die kleine schwarze Tür in der rechten Ecke, schwer erkennbar, erreicht man den Türsteher und die kleine Treppe Richtung Nachtvergnügen. Der Club verdient den Namen Club denn es gibt eine echte Tanzfläche und ein gutes Soundsystem, linker Hand befindet sich eine Bar im guten amerikanischen Cheers Stil, weiter hinten ist der Tanzraum, nicht gross aber mit hoher Decke. Das DJ Pult ist am Kopfende der Tanzfläche. Es ist komplett dunkel, das Diskolicht flackert spärlich und der Sound kling wirklich satt und gut. Ein DJ Freund aus Deutschland hatte mir schon im Vorfeld davon berichtet, so ganz konnte ich es nicht glauben, wie so etwas funktioniert, aber angeblich ist das musikalisch der beste Club der Stadt. Liest man die Liste der DJs, die schon hier waren könnte das schon stimmen. Gerade löst Bela die Freundin vom Veranstalter ab und gibt etwas mehr Energie in seine Hamburger Musik als Gestern. Die Tanzfläche dankt es ihm, Housesound wird abgelöst von dem immer noch housigen aber filigranerem Hamburger Sound. Etwas minimaler und pointierter, gut strukturiert und von innen rollend, klingt wie postmoderner Disco, ich muss tanzen.

Auf der Tanzfläche treffe ich einige der Gäste von Gestern aus dem Shesek. Es scheint also zu stimmen, dass Leute hier durchaus zweimal am Wochenende den selben DJ hören können, wenn es passt. Und das ist das schöne am Feiern, so unverbindlich wie es ist, so herzlich ist es auch, wenn man sich nach einer durchfeierten Nacht wieder sieht. Wir quatschen ein bisschen, Tanzen gemeinsam und stossen an und ich habe zum ersten mal seit ich in Israel angekommen bin, nicht mehr das Gefühl völlig fremd zu sein. Es fühlt sich nicht viel anders an, als zu Hause und mir fallen in Deutschland eine menge Orte ein, an denen ich mich fremder fühle als hier. Es ist eine schöne Erkenntnis, dass die universelle Sprache der Musik funktioniert.
Bela macht während dessen wirklich alles richtig, er hält das Energielevel und spielt ein sehr gut konzipiertes Set ohne Hits. Es ist schön zu hören, dass das Publikum Hits gar nicht erwartet, das Amüsement ist ziemlich euphorisch. Ich stecke meine Kabel zusammen und anders als am Abend zuvor läuft alles von anfang an. Wahrscheinlich gibt es den Geist in der Maschine eben doch und er spürt ob man insgeheim Lust auf den Club hat oder nicht. Alleine der Blick auf die ungepflegte, lieblose Technik hat am Abend vorher den Geist aus der Büchse geholt. Heute ist der Geist milde, wieso auch nicht, alles ist sauber, die Kabel kleben nicht, der Mixer ist ein gepflegter Allen & Heath Xone und auch Plattenspieler und CD Spieler sind in einem gute Zustand. Meine Laune ist die allerbeste, ich werde freundlich nach Getränkewünschen gefragt und bestelle mir einen Sekt auf Eis. Man kennt hier nicht nur Club Mate nicht, auch Sekt auf Eis sorgt für Stirnrunzeln, aber die Jungs machen Ihre Sache gut, sie kommen mit einer Schale Sekt an, wie sie in Oma`s Spiegelschrank stehen könnte aus geschliffenem Glas. Dazu gibt es ein handfestes Cocktailglas voll mit Eiswürfeln. Nun muss ich nur noch mixen.
Die erste Platte läuft und mir wird klar, heute brennt nichts an. Ich liebe diesen Sound, der von unten heraus derbe schiebt. Oberflächlich bleibt alles freundlich und höflich, aber unten herum geben Basslines und Kickdrums so krasse Energie ab, dass es schwierig ist sich nicht auf den Fluss der Bewegung einzulassen. Heute habe ich Lust auf ein deepes Technoset, das finde ich dem dunklen Ort angemessen. Es macht wahnsinnig spass, da es fast kein Licht gibt und man vom DJ Pult aus sehen kann wie sich die Leute auf der Tanzfläche auf sich selbst einlassen können. Es ist absolut unmöglich sich in dieser Dunkelheit selbst zu inszenieren und das lässt eine ungeahnte Leichtigkeit los. Es ist gerade noch möglich seinen Nachbartänzer schattenhaft zu erkennen, aber bereits einen Meter weiter ist definitiv schluss.

Wenn ich schon Techno spiele möchte ich nicht in Gefahr geraten über die Leute wie ein schneller Rasenmäher herzufallen, ich spiele deshalb die Tracks ziemlich langsam, zwischen 118 und 122 BPM, das gibt dem harten Sound etwas warmes mit und meine Strategie scheint aufzugehen, die Tanzfläche wiegt sich und quiekt hier und da und alle grinsen sich an, soweit man das in dem aufblitzenden Geflacker der Discokugel erkennen kann. Nach mir spielt der Lt. Und bleibt bei der Technovorlage. Es ist 4 Uhr morgens und so langsam kann man schon sehen, wie die Party ihren Peak hatte. Offenbar beugen sich die Leute hier ihrem Biorhythmus, von mehreren Seiten wird mir erklärt, das sei hier der Partyhabitus. Man geht auf eine Party , zieht auf eine andere weiter und bleibt vielleicht länger, dann geht entweder noch eine Party oder man geht ins Bett. Ich frage mich ein bisschen wie man eine gute Party selbst aufköcheln will wenn man so wenig Zeit hat. Manche Berliner Party entfaltet ihren Charme erst durch eine gewisse Zeit die man benötigt um anzukommen. Dann kommt die Wohlfühlphase und dann lässt man los, weil man sich so wohl fühlt. Das ist der Punkt an der die meisten Parties richtig gut werden. Hier ist das definitiv anders und Tel Aviv ist ebenso sicher nicht alleine damit. Ich habe dieses weiterziehen und nach einer besseren Party suchen schon in vielen Städten erlebt, vielleicht hat auch das seinen speziellen Charme und Augenblick.
Der Lt. Ist unterdessen dabei uns in weitere Höhen zu spielen. Ich habe lange nicht mehr so harten aber charmanten Techno gehört. Fast die ganze Crew ist auf der Tanzfläche, wir haben sehr viel Spass. Zwischendurch treiben wir uns in dem Bar Vorraum der Tanzfläche herum und bewundern die Soapmässige Einrichtug. Die Bar ist U Förmig und füllt fast den ganzen Raum, drumherum stehen gedrechselte Barhocker, wie sie in Berliner Clubs als ironische Brechung auftauchen, hier sind sie wohl ernst gemeint, denn sie sind neu. Die Wände hängen voll mit holzgerahmten Photos und wir entdecken auf mehreren Bildern Szenen mit Schnee und Rentieren. Das soll wohl irgendwie heimelig wirken, angesichts der Aussentemperatur wirkt es für uns reichlich absurd.
Es ist noch nicht einmal 6 Uhr da ist die Party schon vorbei. Wir packen unser Equipment ein und warten auf den Lt. bis er mit seinen Mitveranstaltern abgerechnet hat damit wir weiterziehen können. Vor der Tür erwartet uns eine Wand aus Hitze und wir sitzen auf der Parkbank vor dem Club. Wie bestellt und nicht abgeholt und durchaus ungläubig dass es das nun gewesen sein soll. Ein Pfandsammler in einem chicen Motorrollstuhl fährt vorbei und beschimpft ein paar Raver die vor dem Laden stehen, weil sie keine Zigaretten für ihn haben. Warum muss jemand der einen 10.000 Euro Rolli hat Pfand sammeln? Um diese Uhrzeit kommen die Gedanken so schnell wie sie gehen. Die Crew ist schon wieder dabei Partypläne zu schmieden, denn am ende können auch wir nicht so einfach aufhören. Wieso auch, für uns ist sechs keine Uhrzeit um schlafen zu gehen und schon gar nicht hier wo wir noch nicht alles kennen. Wir sind immerhin noch eine Crew von sechs Leuten da kann noch etwas gehen. Tel Aviv downtown ist nicht groß, wir erfahren von einer Afterhour im Club neben dem Shesek, wo wir am Abend vorher Musik gemacht haben und laufen in Richtung dorthin. So richtig was los ist nicht mehr auf den Strassen, ich denke an Berlin um diese Uhrzeit am Sonntag morgen in den Partykiezen und beginne zu verstehen warum immer alle Berlin so lebendig finden. Das hier ist eher ein großes Dorf, wer will auf dem Dorf schon um diese Uhrzeit wach sein? Menschen, die ihre Hunde Gassi führen, ein paar offenbar schlafgestörte Normalmenschen und wir. Wir bleiben an einem Kaffe das schon geöffnet hat, kurz vor erreichen der Afterhour hängen. Irgendwie wollen wir nicht wirklich schlafen gehen, aber ein dunkler Club mit völlig verschallertem Volk ist auch nicht unbedingt unsere Wunschvorstellung. Wir bestellen Kaffee und versuchen die Lage zu analysieren. Gibt es denn in dieser Stadt am Meer wirklich nur ein dunkles Afterhour Loch? Wäre nicht eine Bar 25 am Meer das allerbeste? Und was ist mit dem Club in dem wir eigentlich zu Mittagszeit hätten spielen sollen, hat der nicht irgendwie doch auf und können wir nicht dahin? Als uns der Gig abgesagt wurde waren wir gar nicht so enttäuscht weil wir dachten es könne hart werden soviel hintereinander aufzulegen, jetzt sind wir eher enttäuscht weil wir nicht wissen wohin wir weiterziehen sollen? Bela und ich beschliessen die Afterhour mal unter die Lupe zu nehmen um eine Entscheidung zu treffen.
Ich fühle mich wie in der Zeitmaschine, es könnte der Tresor in den 90ern sein, oder auch irgendein anderer Club zu dieser Zeit. Strobogwitter und schneller harter Acid mischen sich gespenstisch mit den abgehackten Bewegungen der wenigen Tänzer. Ich halte das keine Minute aus, diese Zeiten waren gut aber sie sind glücklicherweise vorbei. Bela will unbedingt bleiben und findet es eine lustige Zeitreise, ich kann gar nicht schnell genug weglaufen vor dieser Technohölle.
Wieder zurück am Kaffeetisch muss ich Bericht erstatten, ich weiss gar nicht was ich sagen soll, Afterhour und weiterfeiern ja, aber im Technoloch, nein. Die Runde diskutiert ob es nicht einen Alternativvorschlag gibt aber unsere Energien schwinden mit krasser werdender Sonne. Heute Nacht hatte ich eine Begegnung der dritten Art mit den Klimaverhältnissen. In Berlin geht man in den Club um nicht zu frieren, hier geht man in den Club und es ist kälter als draussen weil man eine Klimaanlage hat. Absurderweise ist das sogar angenehm, denn bei den hiesigen 28 Grad Durchschnittstemperatur im August, auch nächtens, wäre das mit dem Tanzen wohl ziemlich schnell vorbei ohne Kühlung. In die Disco zu den russischen Türstehern wollen wir nicht eine zweite Nacht in Folge und die Kopie vom Tresor anno 1994 ist es auch nicht. Wir geben auf und steigen ins Taxi, nicht ohne uns für ein Frühstück in der Strandbar am späten Nachmittag zu verabreden.

Es reicht noch für einen Schwumm, ein leckeres Thai Essen und dann müssen wir auch noch packen. Die Zeit rast, und wir sind schon los zum Flughafen. Ein paar Stunden später ist auch schon alles Vorbei. Man hatte uns erklärt wir sollen mindestens 3 Stunden vor Abflug am Flughafen zu sein. Wir waren clever und haben uns einen Puffer einberechnet. Um Mitternacht sind wir da für unseren Flug, der um 4:50 losgeht. Nun werden wir zusammen befragt , voneinander getrennt befragt, müssen viele Details unserer Reise erzählen. Ob wir in Nachbarländern waren, ob wir in Gaza waren, ob man uns etwas mitgegeben habe. Unser Gepäck wird durchleuchtet, noch mal durchleuchtet, geöffnet und durchsucht , dann aufgegeben. Weiter geht es mit einer peinlich genauen Kontrolle des Handgepäcks und einem Sprengstofftest an den Schuhen, dann durch den Zoll und am Ende sind die fünf Stunden viel schneller vorbei als gedacht und wir schaffen gerade noch das Flugzeug mitten in der Nacht. Mir fehlt jede Energie um mich über den ganzen Sicherheitskram aufzuregen. Ich lerne in der Schlange einen netten Berliner Palästinenser kennen, der mir auf deutsch erzählt wie normal diese Kontrollen seien und ich solle mich einfach nicht aufregen. Ich bewundere seine Gelassenheit, aber er macht das wohl ziemlich häufig, da die Hälfte seiner Familie hier wohnt. Joe ist in einer anderen Sicherheitsroutine gelandet. Ohne meinen neuen Neuköllner Palästina Begleiter und unsere lustigen Kiezgespräche über Berlin hätte ich jetzt richtig schlechte Laune. Vielleicht rettet uns die Sicherheitsparanoia aber auch unser Leben, wer weiß das schon in dem ganzen Kuddelmuddel. Andererseits ist die Sicherheitsindustrie mit der größte Exportschlager Israels und Angst ist ein prima Steuerungsmechanismus. So schön es war, ich gebe zu ich freue mich in diesem Moment auf Berliner Normalität. Auf Ausflüge in den unvermienten Wald mit meinem Fahrrad, auf lauschige Sommer Open Airs und eine Mütze tiefen Schlaf ohne Klimaanlage.
Im Flugzeug treffe ich Joe wieder und wir schlafen beide sofort ein. Als ich wieder aufwache höre ich mir die Aufnahme der Party vom Abend vorher an und tauche ab in meine Kopfhörerwelt. Tschüss Israel, es war nett mit dir und ganz anders als gedacht. Ein sympathisches, wenn auch widersprüchliches Land. Wir kommen wieder, versprochen ! Der nächste Partystop ist Polen am nächsten Nachmittag und wir freuen uns schon auf die Afterhour mit der Butzke Betriebsausflugsreisegruppe. Shalom Party !